Der Roman «Die Dinge beim Namen» von Rebekka Salm setzt sich aus 12 Geschichten zusammen, die gekonnt ineinander verwoben sind. Sie beleuchten aus verschiedenen Perspektiven ein folgenschweres Ereignis, das vor Jahrzehnten ein Dorf in Aufruhr versetzt hat. Doch was ist damals wirklich passiert?
1984 in einer Winternacht. Sandra, 16, wird von einem Jungen bedrängt. Auch 35 Jahre danach ist dieser sexuelle Übergriff mit seinen Folgen immer noch Thema im 500-Seelen-Dorf. Doch «manchmal war eine Geschichte komplexer als die Geschichten, die man sich darüber erzählte, es erahnen lassen würden». Das weiss auch der Vollenweider allzu gut. Er war damals in das Mädchen verliebt und hat aus der Ferne zugeschaut, ohne einzugreifen. Um sein Gewissen zu erleichtern, schreibt er alles auf und will Sandras Geschichte veröffentlichen. Das bringt Unruhe ins Dorf.
Daumen rauf
- Elektrisierend. Rebekka Salm baut Geschichte um Geschichte Spannung auf. Erst am Ende erfahre ich die Hintergründe, die zum Ereignis in der Winternacht geführt haben. Die Wahrheit ist so heftig wie ein starker Stromschlag.
- Überzeugend. Die Lebensgeschichten der jeweiligen Dorfbewohner und ihre Sichtweise auf die Winternacht kommen plausibel und bildstark rüber. Rebekka Salm schreibt konzis. Nur das Nötigste wird gesagt, alles Unwichtige weggelassen.
- Hinterfragend. Rebekka Salm greift mit Sandras Geschichte die #Metoo-Debatte auf. Mit 16 wollte Sandra bei der Polizei wegen Vergewaltigung Anzeige machen. Doch der Dorfpolizist riet ihr davon ab. Er redete ihre Schuldgefühle ein. Weil überstellt. «Damit gemeint war schneller Sex irgendwo im Zwielicht. Ob der Sex einvernehmlich war, fragte niemand. Musste niemand fragen. Der Mann wollte Sex, das machte ihn zum Mann. Die Frau wollte gewollt werden, das machte sie zur Frau. Überstellt.» Doch Sandras Geschichte ist um einiges komplexer als es den Anschein hat.
- Nicht wertend. Rebekka Salm nimmt keine Partei. Sie mischt sich als Erzählinstanz nicht wertend ein. Schlimmes schildert sie nüchtern. Ohne künstlich Emotionen zu schüren. Das ermöglicht mir unvoreingenommen meine eigene Meinung zu bilden.
- Treffsicher. Rebekka Salm nennt die Dinge beim Namen. Beispielsweise wenn sie über die Wahrheit und die Liebe schreibt: «Die Wahrheit verletzte womöglich Menschen und man lief Gefahr, sie zu verlieren. Die Wahrheit zu verschweigen, führte früher oder später mit Sicherheit dazu.» ODER «Er rechnete nie mit ihr und hoffte dennoch immer auf sie.»
Daumen runter
Etwas bodenständig. Das ist aber dem Dorfsetting geschuldet.
Die Autorin
Rebekka Salm ist 1979 in Liestal geboren und wohnt heute in Olten. Sie studierte Islamwissenschaften und Geschichte in Basel und Bern, arbeitet als Texterin, Moderatorin und Erwachsenenbildnerin. 2019 gewann sie den Schreibwettbewerb vom Buchfestival Olten. Ihre Siegergeschichte ist im Buch Das Schaukelpferd in Bichsels Garten (2021) erschienen.
Das Buch: Rebekka Salm: «Die Dinge beim Namen» (knapp, 2022)
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Monique Rudolf von Rohr (Freitag, 22 April 2022 17:01)
Was die Beurteilung des,Romans angeht, bin ich 100%ig einverstanden- etwas vom Besten in der Schweizer Buchszene und mehr! Seit langem. Der Schreibwettbewerb wurde aber vom Oltner Buchfestival organisiert, das jeweils Ende Oktober, anfangs November stattfindet. Ich bitte um entsprechende Korrektur.
Freundliche Grüsse
Monique Rudolf von Rohr
Programmkommission Buchfestival Olten